Buß- und Bettag

Liebe Gemeinde!

Martin Luther hat es an die Tür der Schloßkirche in Wittenberg geheftet: „Das ganze Leben der Christen soll eine Buße sein.“ Es war nötig, das zu sagen, zu schreiben und zu predigen, denn was Buße ist und wie Christen aus ihr leben, das hatte man weithin vergessen und verdrängt. Statt dessen beruhigte man die Gewissen mit aufwendigen Ritualen für Reue und Beichte; man meinte, sich frei kaufen zu können und beschwichtigte ängstliche Gemüter, indem man ihnen Sühneleistungen auferlegte wie Wallfahrten, Bußgelder und Beten von Rosenkränzen…

„Das ganze Leben der Christen soll eine Buße sein.“ Es ist auch heute nötig, das zu sagen und zu schreiben, denn wir haben es wieder vergessen und verstehen nicht mehr, warum sie so wichtig ist für das Leben als Christ.

Schon das Wort ist uns fremd geworden. Wir kennen es noch im Zusammenhang mit der Polizei, Strafgesetz und Straßenverkehrsordnung: Wer falsch parkt, wer zu schnell fährt, wer im Dunkeln kein Licht anmacht oder bei Rot über die Ampel geht, zahlt Bußgeld. Wer einbricht oder stiehlt, verbüßt seine Strafe im Gefängnis. Aber Buße ist keine Strafe, ist weder zur Abschreckung gedacht noch als Ausgleich zum Schadenersatz.

Aus den Mittelalter-Romanen und -Filmen haben wir Büßergestalten in Erinnerung, depressiv-düstere Gestalten mit wirrem Blick, in grauschwarze Lumpen gehüllt, die sich selbst mit Peitschen schlagen und so geistliche Reinigung erhoffen oder erzwingen wollen… Aber das ist eine Karikatur und hat mit Buße nichts zu tun.

Buße – das ist nicht, wenn wir ein schlechtes Gewissen haben. Wenn wir uns schlaflose Nächte machen, weil wieder mal etwas versiebt worden ist, weil wir den Anforderungen nicht genügt haben, die an uns gestellt werden oder die wir selbst uns aufgelegt haben. Die Buße ist überhaupt nicht etwas Aktives, das von uns ausgeht, sie ist nichts, was wir uns vornehmen und tun können. Buße ist etwas, das bei Gott beginnt, das uns von Gott geschenkt wird. Buße tun heißt: Vergebung empfangen. Buße tun heißt: anhalten dürfen, umkehren können, neu beginnen .

Ich bin oft so ungeduldig mit mir selbst, traue mir Veränderung nicht zu. Meine Fehler kenne ich sehr gut. Ich bin ehrlich genug mir selbst gegenüber, und kritisch genug auch. Aber diese Selbsterkenntnis allein hilft mir nicht. Solang sich nichts ändert, solange ich wie gebannt auf meine Fehler sehe, bleibe ich ohne Hoffnung, bewegungslos… „Wer wird mich erlösen?“ hat schon Paulus in Verzweiflung gerufen. „Ich bin in gottlosen Strukturen gefangen!“ – Und er hat die Antwort gegeben: „Ich danke Gott – durch Christus, unseren Herrn“

Die Barmherzigkeit Gottes läßt sich Zeit. Seine Güte ist geduldig. Nicht umsonst übersetzt Luther mit dem schönen Wort Langmut. „Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Buße, zur Umkehr leitet?“ fragt Paulus.

Es ist Gott, der den Menschen eine neue Chance gibt, wenn sie seinen Weg verlassen haben. Es ist Gott selbst, der richtet, der zurechtbringt, der vergibt und heilt und tröstet. „O glückselige Schuld, die einen so großen Erlöser gefunden hat!“ heißt es in der Liturgie der Osternacht.

Wir nehmen nicht auf die „leichte Schulter“, dass wir schuldig geworden sind. Wir wälzen unsere Fehler nicht mit einem Lächeln auf irgendeinen Sündenbock ab. Wir wissen um die Schwere unserer Fehler. Aber wir wissen auch, dass Gott vergibt. Und wir befreien uns, indem wir einander vergeben. Nicht die Verfehlungen und die verpassten Chancen sollen unser Zusammenleben bestimmen und unser Verhältnis zu Gott trüben. In seiner Klarheit stellt er alle unsere Fehler ins Licht – und dann beginnt er seine Geschichte mit uns neu…