Ich frage mich seit einiger Zeit, warum Pilgerfahrten und Reisen zu „Heiligen Orten“ in diesen Jahren so sehr beliebt sind. Nicht nur auf dem Jakobsweg oder auf den sieben Hügeln Roms, nicht nur in Bethlehem und Jerusalem sammeln sich Tausende von Menschen, deren Interesse sicher nicht nur ein touristisches ist.
Sie nehmen tief ergriffen an Gottesdiensten teil, verbringen ganze Nächte betend in einem Kloster oder nehmen große Strapazen auf sich, um ein Gefäß mit Haaren oder Fingergliedern eines heiligen Menschen zu berühren – warum?
Offensichtlich ist da mehr als eine Art sportlicher Herausforderung oder die Lust am Reisen im Hintergrund. Ich hoffe aber, dass es auch nicht Angst vor einem zornigen Gott ist, die die Leute auf die Pilgerwege lockt. Die Zeit ist wohl vorbei, in der Gläubige hoffen, sie könnten den Allmächtigen beruhigen, indem sie eine halbe Stunde lang das Vater unser oder das Ave Maria beten…
Ich gehe auf Wegen, auf denen ziemlich sicher vor zweitausend Jahren auch Jesus gegangen ist; ich bade meine Hände in einer Wasserquelle, aus der einst die Pferde des judäischen Königs Ahabja getrunken haben; ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, zu denen vor langer Zeit schon die ersten Einwanderer in das „gelobte Land“ aufgeblickt haben und in ihrem Schatten das Glaubensbekenntnis gesprochen haben.
Wird all das meinen Glauben berühren, mein Leben verändern?
Mir wird nicht mehr und endgültiger vergeben, weil ich durch die Tore Jerusalems schreite, mein Gebet wird vor Gott nicht sicherer gehört, weil ich es an der Klagemauer ausgesprochen habe. Und die Heiligkeit eines guten Menschen, der gottgefällig gelebt hat, wird nicht auf mich „abfärben“, weil ich seine Fingerknöchel oder seinen Gürtel berührt habe.
Vielleicht ist es einfach ein Bedürfnis, mit einer Pilgerreise oder durch den Kontakt mit den sterblichen Überresten eines Heiligen zu einem Teil seiner Geschichte zu werden, vielleicht ist es die Hoffnung, durch das Eintauchen in eine zweitausend Jahre alte Tradition dem eigenen Leben einen festeren Grund, ein tieferes Fundament zu geben.
Ich werde ein Teil der Geschichte Jesu. Die Steine, die seine Füße getragen haben, tragen auch meine. Die Bäume, in deren Schatten er gesessen hat, schützen auch mich.